Ich bin ein besonnener Mensch. Ich neige nicht zu cholerischen Ausbrüchen, da mir dies ein Maß an Aufmerksamkeit eintragen würde, das mit meinem grundsätzlich zurückhaltenden, scheuen Wesen unvereinbar wäre. Ich stehe nicht gerne im Mittelpunkt, erst recht nicht als personifizierter Brüllaffe, der die gesamte Öffentlichkeit mit den von ihm oder ihr angeprangerten Problemen dieser Welt terrorisiert. Ich fröne stattdessen höflicher Selbstbeherrschung, selbst in Moment innerer Unruhe. Andere sind da weniger in sich gekehrt.

Erst vor wenigen Tagen begegnete ich einem dieser krackelenden Exemplare, die scheinbar im Moment ihrer erbitterten Gefühlsentladung vollkommen von ihrer Außenwelt getrennt sind und sich in ihrem kleinen Wutuniversum in einem jedermann vereinnahmenden Wortschwall ergehen. Ich war gerade dabei, die in stressfreier, schlendernder Gemütlichkeit in den Einkaufswagen verfrachteten Güter vollends durch die Ansteuerung des Kassenbereiches in meinen Besitz zu bringen, als ich auf der Rolltreppe des Supermarktes ein seltsames Gezeter hörte.

Die ältere Dame vor mir schien irgendetwas an dem vor ihr stehen jungen Pärchen zu beanstanden. Vielleicht hatten sie ihr die letzte preisgesenkte Ananas ohne den ihrem Alter gebührenden Respekt erbarmungslos vor der Nase weggeschnappt, indem sie sie mit einem geschickten Ablenkungsmanöver am Tomatenstand grob fahrlässig mit ihrem Einkaufswagen von der Fahrbahn drängten und sie zu einem unvorhergesehenen und ihren Lauf durchbrechenden Stopp zwangen. Oder aber sie haben unter Zuhilfenahme ihrer dynamischeren Körperkräfte mit einem halsbrecherischen Hechtsprung eben diese Dame auf den zweiten Platz der Rolltreppenhierarchie verwiesen. Das oder etwas ähnlich Niederträchtiges muss jedenfalls passiert sein, wie es dem erbosten Gepolter der Dame mehr der Intonation nach als dem unverständlichen Inhalt zu entnehmen war.

Vermutlich wardas heimtückische Gelächter dieses mephistophelischen Zwiegespanns als Zeugnis der begangenen perfiden Tat gerade erst verklungen, als ich mich auf dem Rollfeld einreihte. Oben angekommen setzte ich meinen Weg zum Kassenbereich fort und überholte dabei die nach wie vor Kawallierende, die ihren ungezügelten Ärger nun am dem hilflosen Getränkemitarbeiter entlud. Kurze Zeit später hörte ich beim Bezahlen meiner Waren das nunmehr vertraute Gekreische, das unablässig fortfuhr.

Das junge Pärchen war nirgends zu sehen und so schien das Klagelied der Dame weniger spezifisch als vielmehr universelle Ausmaße anzunehmen. Offensichtlich bereitete es ihr keine Mühe, an allem und jeden einen Anlass zur lauthalsen Beschwerde zu finden. Ja, das permanente Pöbeln war ihr schon so in Fleisch und Blut übergegangen, dass es ein chronischer Zustand, ein fester, automatisierter Bestandteil ihrer Alltagsroutine war.

Meine zunächst empfundene peinliche Verlegenheit wandelte sich schnell in Belustigung. In meinem Kopf nahm die Brüllende mehr und mehr klamaukhafte Züge an. So erfüllte sie meinen ansonsten unspektakulären Einkauf mit einem Moment kurzzeitigen Trubels – eine Wirkung die sie, hätte sie davon Kenntnis gehabt, sicher erneut in wilde Aufruhr versetzt hätte.