„Mama, Luise hat aus Versehen was kaputt gemacht und nun ist sie ganz nass.“ Da wurde ich sofort hellhörig. Nicht etwa, weil ich die Mutter der schätzungsweise elfjährigen Schwester besagter Luise war. Und auch nicht, weil das kaputte „Wasauchimmer“ mich in irgendeiner Weise betroffen hätte. Nein, ich hatte rein gar nichts mit dem Ganzen zu tun. Und dennoch ‑ oder gerade deshalb ‑ packte mich die voyeuristische Schaulust, die einen eben überfällt, wenn man zufällig Zeuge fremder Unpässlichkeiten (ich nenne es gerne „Amüsement“) wird. Sie sind doch das Salz in der Suppe, die sich Leben schimpft, und einen ja oft genug selbst in die Bredouille – oder um bei der gewählten Metaphorik zu bleiben: in die Bouillon – bringt.
Wie oft stand ich schon vor einer Schüssel, aus der alle Fleischersatzklößchen bereits restlos herausgepickt waren. Und dabei ist Suppe an und für sich ja bereits ein Zeichen dafür, dass gerade etwas gehörig schief läuft. Bei mir zumindest. Die Gleichung ist ganz simpel: Suppe = Krankheit. Basta. Außer vielleicht…sie ist gespickt mit dem leckersten Weizenmehlgemisch, dass die japanische Küche zu bieten hat: Udonnudeln. Was haben diese köstlichen Schlingel mich schon um den Verstand gebracht. Doch zurück zum Thema.
Ich genoss also den Moment, mich einfach zurücklehnen und anderen – und noch dazu Kindern (das war mein Glückstag) ‑ dabei zusehen zu können, wie sie mit ihrem udonnudellosen, fleischersatzklößchenfreien Suppendebakel fertig werden mussten. Schließlich ist des einen Leid doch des anderen Freud. Und, wie ich in jahrelangen selbstlos durchgeführten Feldversuchen feststellte: Mit steigendem Leid anderer nimmt die eigene Freude sogar proportional zu. Mit anderen Worten: Mir stand Großes bevor.
Was als harmloser Bummel durch den Buchladen begonnen hatte, entspann sich nun zu einem ausgewachsenen Feuerwerk an Jux und Dollerei. Kinder sind immerhin bekannt dafür, aus Mücken ganze Elefantenherden zu machen. Also hielt ich inne und harrte der Dinge, die da noch kommen sollten und knabberte imaginäre Popcorn.
Praktischerweise hatte ich einen Platz in der ersten Reihe. Ein Zustand, der mir auf Konzertbesuchen bisher nie vergönnt war. Ich stand nämlich direkt neben der Frau, die sich als Adressat der Klagebotschaft entpuppte und nun jäh aus ihrem so seltenen wie kostbaren Moment stiller Kontemplation herausgerissen wurde. Mit stoischer Gelassenheit in das verschreckte Gesicht ihrer Tochter blickend stellte sie sich vermutlich die gleiche Frage, die auch mich so faszinierte: Wie kommt Wasser in einen Buchladen? Immerhin birgt es immer die Gefahr, das papierne Gut schon bei der kleinsten Berührung völlig aus der Form zu bringen. Und gerade in Buchläden gilt doch das ungeschriebene Gesetz: Das Auge liest mit.
Noch ehe ich wilde Theorien von Koibrunnen aufstellen konnte, die als neueste Verkaufsstrategie der hiesigen Buchenladenszene zur zenhaften Stimulierung von Käufen ersonnen wurden, zeigte sich die Hauptperson der Szenerie: Luise. Damit war die Exposition geschafft, die Steigerung in vollem Gang und die Peripetie dieses Einzelhandelfamiliendramas zum Greifen nah.
Weinend und von oben bis unten nass lief Luise auf die nun allmählich doch recht verblüffte Mutter zu. Diese schien sofort in den Notstandsmodus umzuschalten – ein, wie es schien, ihr nur allzu bekannter Zustand. Sie zückte in einer selbstverständlichen Geste, aus der eine Mischung aus Resignation und Bewunderung ob der Fähigkeit ihrer Tochter, das Unmögliche möglich zu machen, sprach, ein Taschentuch. Damit rückte sie den nassen Kleidern der ‑ im wahrsten Sinne des Wortes ‑ vollkommen aufgelösten Tochter zu Leibe.
Während Luise kreischweinend der Mutter ihr ungewolltes Kunststück zu erklären versuchte (es schien irgendwas mit einem Buch für angehende Aquarianer:innen zu tun zu haben), schwelgte ich beseelt in meinen Udonnudelträumen.